1. Resolutionen

(einstimmig beschlossen auf der

IUPAP Konferenz "Women in Physics", Paris, März 2002,

aus dem Englischen übersetzt von M. Ritsch-Marte und K. Weinmeier)



      1. Einleitung


Die Physik spielt eine Schlüsselrolle für das Verständnis der Welt, in der wir leben, und PhysikerInnen tragen in hohem Maße zum Wohlergehen und zur Entwicklung der Nationen bei. Das Wissen der PhysikerInnen und ihre spezielle Eignung als "Problem-Löserinnen" ist essentiell für viele Berufe und Industrie-zweige, ja für die Gesellschaft allgemein. Um in der heutigen schnell-lebigen technologischen Welt erfolgreich bestehen zu können, muss jedes Land eine hochgebildete Bevölkerung von Männern und Frauen erreichen, die in den Entscheidungsprozess, welcher für das Wohlergehen der Gesellschaft wichtig ist, aktiv eingebunden ist.


Daher gehört ein Grundwissen "Physik" mit dazu zur Allgemeinbildung jedes Bürgers / jeder Bürgerin. Abgesehen davon, ist jeder Fortschritt des physika-lischen Verständnisses eine packende intellektuelle Herausforderung, die von den vielfältigen und einander ergänzenden Sichtweisen von Frauen und Männern aus vielen Kulturen profitiert. Frauen können zu diesem Fortschritt beitragen, und tun dies auch, und wirken damit, durch die Physik, am Wohlergehen der Menschheit mit ? aber zur Zeit nur in kleinen Zahlen: Frauen sind eine zuwenig genutzte "intellektuelle Reserve". Erst wenn Frauen voll integriert beteiligt sind als Forscherinnen im Labor, als Wissenschafts-managerinnen und -lehrerinnen, sowie als Entscheidungs-trägerinnen, werden sie sich als gleichberechtigte Partner in einer techno-logischen Gesellschaft fühlen.


Die Ideen dieser Resolutionen zielen darauf ab, mehr Frauen in die Physik allgemein und in leitende Positionen in der Physik zu bringen. Sie wurden von über 300 PhysikernInnen aus insgesamt 65 Ländern, die an der ersten internationalen Konferenz über Frauen in der Physik vom 7.-9.3. 2002 in Paris teilgenommen haben, einstimmig angenommen.


Jedes Land ist anders. Daher übersetzen die KonferenzteilnehmerInnen diese Resolutionen in ihre Landessprachen. In der Übersetzung werden die Ideen dieser Resolutionen in passende Worte gefasst und an die verantwortlichen Behörden in jedem Land gerichtet.



1. An Schulen und Bildungsministerien gerichtete Resolution


Mädchen sollten die selben Chancen und die selbe Unterstützung bekommen wie Buben, in den Schulen Physik zu lernen. Wenn Eltern und LehrerInnen Mädchen bestärken, so stärkt dies ihr Selbstbewusstsein und hilft ihnen Fortschritte zu machen. Im Physikunterricht sollten jene Lehrmethoden und Lehrbücher verwendet werden, von denen sich bereits gezeigt hat, dass sie Mädchen ansprechen und ihren Erfolg begünstigen. Studien belegen, dass es jungen Mädchen ein großes Anliegen ist, zur Verbesserung der Lebenssituation von Menschen beizutragen; daher ist es wichtig, dass ihnen Gelegenheit gegeben wird, Wege zu sehen, wie die Physik eine positive Auswirkung auf die Gesellschaft hat.



2. An Universitäten gerichtete Resolution


2.1 StudentInnen

Die Universitäten sollten ihre Politik und ihre Verfahrensabläufe prüfen, um sicherzustellen, dass Studentinnen die selben Erfolgschancen haben wie die männlichen Studenten. Politische Linien, welche die Diskriminierung aufrecht erhalten, sollen abgeschafft, und solche, die die Aufnahme fördern, geschaffen werden.


Dies könnten z.B. folgende Maßnahmen sein: das Anbieten eines breiten interdisziplinären Zugangs zur Physik, die Schaffung von flexiblen Zulassungskriterien zum Physik-Studium, die Ermöglichung früher Beteiligung an der Forschung, die Schaffung eines "Mentoring"-Programms; StudentenInnen sollen mit den wichtigen Beiträgen der Physik zu anderen Wissenschaften, zur Medizin, zur Industrie und zur Lebensqualität in Berührung kommen. Diese Maßnahmen werden einen speziell positiven Effekt für junge Frauen zeigen, die sich oft isoliert und unwillkommen in der Physik fühlen.


2.2 Universitätsangehörige und WissenschaftlerInnen

Kürzlich haben Studien gezeigt, dass (sogar an Top-Institutionen) weibliche Wissenschaftlerinnen nicht fair behandelt worden sind im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen. Dies ist nicht nur schädlich für die Frauen in der Wissenschaft, sondern wird langfristig auch schädlich für die Wissenschaft selbst sein. Die Universitäten sollten ihre Politik und ihre Verfahrensregeln überprüfen und bekannt machen, um sicher zu gehen, dass die Gleichbehandlung gefördert wird. Es ist von zentraler Bedeutung, dass die Universitäten transparente und faire Auswahl- und Beförderungsverfahren garantieren. Zusätzliche wichtige Elemente für den Erfolg der Wissenschaftler-innen sind der gleichberechtigte Zugang zu Forschungsgeldern und Infra-struktur sowie ausreichende Zeit für Forschung (in den Dienstpflichten).


Der Entschluss zur eigenen Familie darf kein Hindernis sein für die wissenschaftliche Karriere von Frauen. Eine familienfreundliche Umgebung, in der Kinderbetreuungseinrichtungen, flexible Arbeitszeiten und Anstellungs-möglichkeiten für sogenannte "dual career families" angeboten werden, sind Voraussetzung für eine erfolgreiche Karriere.

Männer dominieren derzeit die Leitung von Universitäten. Frauen sollen ebenso an der Leitung von Universitäten und Physikinstituten beteiligt sein. Sie müssen Einfluss auf die Politik haben, die ihre eigene Zukunft bestimmt. Für die Entwicklung von jungen Physikerinnen ist es wichtig, erfolgreiche Frauen zu sehen, die eine aktive Rolle in Forschung, Lehre und Leitungspositionen haben.


3. An Forschungsinstitute gerichtete Resolution


Forschungsinstitute profitieren von Richtlinien, die Wissenschaftlerinnen eine erfolgreiche Karriere erlauben. Die Institutsleitung soll sicherstellen, dass Gleichbehandlungsrichtlinien für die Aufnahme und für die Aufstiegschancen von Mitarbeiterinnen beschlossen und auch umgesetzt werden. Allzu oft wird die Karriere von Frauen durch die sogenannte "gläserne Decke" (glass ceiling) gestoppt.


Die Institutsleitung soll aktiv dafür sorgen, dass familienfreundliche Randbedingungen, wie Kinderbetreuungseinrichtungen und flexible Arbeits-zeiten für alle vorhanden sind. Untersuchungen haben wiederholt gezeigt, dass die Hauptsorge von Physikerinnen das "Ausbalancieren" von Karriere und Familienleben ist. Der Entschluss für eine Familie darf die erfolgreiche Teil-nahme an wissenschaftlicher Forschung nicht behindern.


4. An Forschungseinrichtungen der Industrie gerichtete Resolution


Forschungseinrichtungen der Industrie profitieren von Richtlinien, die Wissenschaftlerinnen eine erfolgreiche Karriere erlauben. Industrie-managerInnen und ForschungsdirektorInnen sollen sicherstellen, dass Gleich-behandlungsrichtlinien für die Aufnahme und für die Aufstiegschancen von MitarbeiterInnen beschlossen und auch umgesetzt werden. Allzu oft wird die Karriere von Frauen durch die sogenannte "gläserne Decke" (glass ceiling) gestoppt.


Die LabormanagerInnen sollen aktiv dafür sorgen, dass familienfreundliche Randbedingungen, wie Kinderbetreuungseinrichtungen und flexible Arbeits-zeiten für alle vorhanden sind. Untersuchungen haben wiederholt gezeigt, dass die Hauptsorge von Physikerinnen das "Ausbalancieren" von Karriere und Familienleben ist. Der Entschluss für eine Familie darf die erfolgreiche Teilnahme an wissenschaftlicher Forschung nicht behindern.


5. An wissenschaftliche Gesellschaften gerichtete Resolution


Wissenschaftliche Gesellschaften und Berufsvereinigungen können und sollen eine Rolle bei der Erhöhung der Zahlen und des Erfolgs der Frauen in der Physik spielen. Jede Gesellschaft soll eine Kommission oder Arbeitsgruppe einsetzen, die für diese Aufgabe (Belange) verantwortlich ist und für die gesamte Gesellschaft Vorschläge erarbeitet. Zumindest sollen die Gesell-schaften folgendes tun: mit anderen Organisationen zusammenarbeiten, um statistisches Material zur Präsenz von Frauen auf allen Ebenen der Physikkarriere zu sammeln und zugänglich zu machen; Wissenschaftlerinnen finden und als mögliche Vorbilder (role models) bekannt machen; Frauen in Programm-Komitees und als eingeladene Sprecher in von der Gesellschaft gesponserten wissenschaftlichen Treffen und Konferenzen aufnehmen; Frauen in die Redaktionsbelegschaft (Editorial Board) von Journalen der Gesellschaft aufnehmen.


6. An nationale Regierungen gerichtete Resolution


Die Physik spielt eine Schlüsselrolle für das Verständnis der Welt, in der wir leben, und PhysikerInnen tragen in hohem Maße zur ökonomischen und kulturellen Entwicklung und zum Wohlergehen der Nationen bei. Daher liegt es im eigenen Interesse jeder Nation, Vorsorge für eine solide Physikausbildung aller Bürger und Bürgerinnen zu treffen und höhere Bildung und Forschung zu fördern. Regierungen müssen gewährleisten, dass Frauen die gleichen Zugangsmöglichkeiten und Chancen auf Erfolg in Forschung und Lehre haben wie Männer. Nationale Führungs- und Expertengremien sollen Frauen einschließen, und Zuwendungen aus Regierungsgeldern sollen nur an jene Organisationen und Institutionen gehen, die Gleichbehandlung in ihre Richtlinien integriert haben.


7. An Institutionen zur Forschungsförderung gerichtete Resolution


Institutionen, die Gelder für wissenschaftliche Forschung vergeben, spielen eine Schlüsselrolle für die Förderung des Erfolgs der einzelnen ForscherInnen als auch für die Wissenschaft als ganzes. In der Vergangenheit haben Studien gezeigt, dass ein geschlechtsspezifisches Vorurteil im Begutachtungsprozess (Reviewing Process) der Experten herrscht. Um Chancengleichheit bei Forschungsgeldern zu gewährleisten, muss daher der Wettbewerb um Förderungsgelder transparent und weitgehend öffentlich sein; die Kriterien für die Verteilung sollen klar sein; Frauen sollen an allen Gutachter- und Vergabekommissionen beteiligt sein. Altersgrenzen und Randbedingungen der Förderprogramme, die AntragstellerInnen deutlich benachteiligen, die Elternkarenz in Anspruch genommen haben, müssen überdacht werden. Vergabeinstitutionen sollen ihre statistischen Daten nach Geschlecht aufgeschlüsselt führen und zugänglich machen, einschließlich der Informationen über die Anzahl und Qualifikation der Frauen und Männer, die um Forschungsförderung ansuchen und die sie erhalten (Bem. der Übersetzerin: natürlich keine namentliche Nennung der AntragstellerInnen, nur anonyme Daten).


8. An IUPAP (International Union of (Physics) Pure and Applied Physics) gerichtete Resolution


IUPAP ist die internationale Physiker-Organisation und hat als solche durch ihre Stellungnahmen und Aktivitäten beträchtlichen Einfluss auf die Gemeinschaft der PhysikerInnen. IUPAP soll zum einen die obigen, an andere Gruppen gerichtete, Resolutionen unterstützen und zum anderen die eigenen Aktionen überprüfen, um sicher zu gehen, dass sie zur Erhöhung des Frauenanteils und des Erfolgs von Frauen in der Physik beitragen. Sehr wertvoll ist die Aufgabe für IUPAP, die Ergebnisse dieser Konferenz an internationale wissenschaftliche Organisationen in anderen Gebieten weiterzuleiten.

Bei der Wahl des geschäftsführenden Vorstandes (Executive Council) von IUPAP und bei der Wahl der Kommissionsmitglieder sollen Maßnahmen getroffen werden, die die vollwertige Berücksichtigung von Frauen gewährleisten. IUPAP sponsert große internationale Konferenzen; ein Kriterium für das Sponsoring sollte der Nachweis sein, dass Frauen in die internationalen Gutachterkommissionen (International Advisory Committees) sowie in die Programm-Komitees (Program Committees) aufgenommen wurden. IUPAP (sollte) soll von den OrganisatorInnen der Konferenzen verlangen, dass sie die Geschlechterverteilung unter den eingeladenen RednerInnen der Konferenz bekannt geben.

IUPAP soll allen liierten nationalen Kommissionen (Bem. der Übersetzerin: z.B. ÖPG) empfehlen, Frauen als Kommissionsmitglieder aufzunehmen. Liierte Kommissionen sollen diese Resolutionen in ihren Ländern vertreten. IUPAP soll seine Arbeitsgruppe "Frauen in der Physik" weiterführen und sie dazu ermächtigen, eine internationale Beraterkommission mit je einem Vertreter / einer Vertreterin aus so vielen Ländern wie möglich zu bilden. Letztendlich soll diese Arbeitsgruppe die Basis bilden für ein Netzwerk, das für die Erhöhung des Frauenanteils und des Erfolgs von Frauen in der Physik weiterarbeitet.